Im Ulmer Theater feierte das Leben:
„Leben und leben lassen!“ in ausverkauftem Haus begeistert am Samstag Abend (6. Mai 2017).
Wenn es nur die Zahlen wären - 120 Mitwirkende aus über 30 Ländern vor einem ausverkauften Haus - , schon dann wäre das Projekt „Leben und leben lassen!“ des Teams von Anke Bußmann und Markus Romes außergewöhnlich. Aber der tosende Abschluss am Ende - der weit über einen Applaus oder Ovationen hinausging - würdigte eine Arbeit, deren Idee und Umsetzung von hoher Relevanz war - und die wirklich mitnahm, mitzog und mitriss.
Markus Romes griff mit dem Projekt in den aktuellen Zeitgeist aus zerbrechender Solidarität und destruktivem Populismus und setzte eine sehr konkrete Gegenvision, ohne je einen moralischen Zeigefinger zu erheben. Menschen unterschiedlichster Lebensräume trafen sich über Musik und Spiel auf einer Plattform der Möglichkeiten – und das kam an.
Da war der feine Kinderchor in der Eröffnung und in der Mitte des Programms, federleicht geführt. „Wem gehört die Erde?“ fragten die Kinder und ließen ein wiegendes Liebeslied von Herrn Gelb und Frau Blau klingen.
Die Liebe und ihr Wesen - das war auch Thema des starken Auftritts des isländischen Opernsängers Thorsten Sigurdson. „Fremd bin ich ausgezogen“ aus Schuberts Winterreise sang er im Wechsel mit den jungen Frauen des Ensembles.
Der Bogen ging über alle Kontinente hinweg, begann mit Lateinamerika und spannte sich vom Beatles-Klassiker über das Liebeslied „Leila“, vorgetragen von Morteza Ahmadi aus Afghanistan und Impressionen aus Bollywood bis hin zum mitreißenden Finale mit „Lama B´domik“ eines syrischen Männerquartetts - alles fein und bedacht und mit einem gekonnten Choreographiewerk durch Caterina Salvatori verwoben.
Teile dieses Webwerkes waren auch die Rezitationen, die doch so gut in die aktuelle und mitunter verstörende Diskussion um eine Leitkultur passten: Heimatsehnsucht in arabischen Worten, klangvoll gesprochen von Kotayba al Rahmoun, Koransuren im Gebetsklang durch den Pakistaner Ali Mahmoud und klare Worte zur Erinnerung an die Weiße Rose und ihr fünftes Flugblatt, versteckt in der Ulmer Martin-Luther-Kirche, in dem Freiheit für alle Menschen in Europa gefordert wurde, wirkten berührend und mahnend: „Weil Freiheit so kostbar ist,“- das waren Worte der Regisseurin Anke Bußmann selbst zu Beginn- „müssen wir verschwenderisch damit umgehen!“
Und da stand in einem starken, atemnehmenden Bild dann die Franziskanerin Schwester Sigrid Bucher in Ordenstracht neben der Muslima Ajla Kajan mit Hidschab und es sang der bosnisch-muslimische Kinderchor still und würdig - abgewechselt durch den Beatles- Klassiker „She’s leaving home“, gesungen von Opernsängerin Maria Rosendorfsky, und tolle Tanzeinlagen. Hier leuchtete die Vielfarbigkeit modernen Frauseins über die weiße Kleidung des Ensembles weit hinaus.
Das Wort „Heimatklänge“ weckt Ideen. Das interkulturelle Musikensemble dieses Namens lieferte dazu virtuose Antworten. Ob Debora Vilchez meisterhaft auf diversen Perkussionsinstrumenten, oder die Cellistin Anna Khubashvili mit einem Satz aus der ersten Cello-Suite von Bach, der Violinist Oleksandr Klimas, der virtuose Improvisationen in den Raum wob oder die chinesische Erhu, eine mit dem Bogen gestrichene Röhrenspießlaute, gespielt von Yueling Li, aber auch die warme, arabische Oud, eine Kurzhalslaute, die von Amine Othmane gespielt wurde - jedes Mitglied dieses Ensembles ließ Heimatklänge spürbar werden, die von DER Heimat schlechthin erzählten - unserer Welt mit ihrer reichen Kultur. So konnte dieses Ensemble auch auf alle Musikstile veritabel antworten.
Und da war das stille und einfühlsam gesungene „Unter Deinen weißen Sternen“ von Margarete Lamprecht, der Gesang des Syrers Mohammed Alouf über sein Heimatland oder der Rap des Irakers Ali Momtaz, da war der Dietrich-Song „Sag mir, wo die Blumen sind“ mit dem jungen Samuel Bisle, der temperamentvolle Didi Knoblauch mit „He ain´t heavy“, einem Klassiker von den Hollies, und Chris Maihoefer mit einer eigenen Version von „Bei mir bist Du schön“ und seinem Appell für die Freiheit der sexuellen Identität des Menschen.
Einheit in der Vielfalt- das war das Ensembleprogramm. Denn das bestand eben aus einer Reihe unterschiedlichster Chöre- vom internationalen Kinderchor Ulm/Neu- Ulm über den Hochschulchor und d´Accord. Und diese klangen dann in einer Harmonie, die still bewegend sein konnte- aber auch anfeuernd und leuchtend.
Dieses Feuerwerk wurde gefasst von der klugen Regiehand von Anke Bußmann. Ihr gelang es, diese Stile zu verweben und fruchtbar in Beziehung zu setzen - ohne auch nur ein Wort der Moderation. So war der gesamte Abend ein Ensemble in sich, in das auch das Publikum einbezogen war - und entsprechend am Ende feierte. Wenn kein Wort über diesen Abend zu sagen wäre - die Begeisterung des Publikums sprach mehr als jede Rezension es könnte. Und wir warten auf die Zugabe, die Markus Romes am Ende allen versprach: Im nächsten Jahr wird es ein neues Programm geben - und das wird auch so werden. Markus Romes kann das. Und die Region sieht, wie Integration vom grünen Tisch oder vom Stammtisch genommen und gelebt wird.
Aubrey Werneke, Augsburger Allgemeine
Nachfolgend finden Sie eine Bilder-Auswahl der ausverkauften Veranstaltung im Ulmer Theater in 2017:
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